Die Anfänge Edens – Teil 3 Erinnerungen von Max Ziesche
Hier folgt ein weiterer Erfahrungsbericht eines Mannes der ersten Stunde. Max Ziesche kam 1887 als Fachgärtner nach Eden und beschreibt hier, wie er Eden damals erlebte und wie sein Arbeitsalltag aussah.
Viel Freude beim Lesen und Erfahren wünscht euch Christiane
(Bitte beachtet: der folgende Text wurde vor über 90 Jahren geschrieben, auch war die damalige Rechtschreibung eine andere als heute.)
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Max Ziesche, Unterbachern bei Dachau (Bayern)
(EM Nr. 2, Februar 1933, S. 25-28)
Am Sonntag, dem 28. Februar 1897, traf ich aus dem Böhmischen Ostgebiet, dem Elbetal, in Eden ein, um hier am Aufbau mitzuarbeiten. Als eifriger Genosse und Gesinnungsfreund – ich lebte seit meiner Schulzeit 1885 im Elternhause entsprechend der naturgemäßen Lebensweise – trat ich, nach gepflogenem Schriftwechsel mit der Verwaltung als Gärtner an. Ich hatte zunächst die Hauptarbeiten im Baumschulbetrieb zu übernehmen und als Fachgärtner bei den Baumpflanzungen und Gemüsekulturen mitzuwirken.
Aus einem Paradies kommend, wo prächtiges Obst in günstigsten Lagen gewaltige Ernten brachte, gehörte guter Humor und Optimismus dazu, den Edener Sand und die noch in den Kinderschuhen stehende Pflanzung als vollwertig anzusehen. Bei der Arbeitseinteilung durch Genossen G. Reichenbach am nächsten Morgen, einem rauhen Märztage, lernte ich dann zunächst mehrere Edener Kolonisten kennen, äußerst bescheiden in ihrem Anzuge, mit den unvermeidlichen Holländer Holzschuhen, die ich aber in dem Sumpf und Morast bald selbst als notwendig schätzen lernte, und kam erstmals mit dem Genossen Scheffler zusammen, welcher mich dann zu einer längeren Aussprache in seine Wohnung einlud. Hier gab es die erste größere Belehrung über das vorhandene Menschenmaterial und die Eigenart der Bewirtschaftung des Betriebes. Genosse Scheffler war ja die Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit selbst, und so hat er mich dann in all die Schwierigkeiten der damaligen genossenschaftlichen Arbeit eingeweiht. Mir wurde dann neben meinen übrigen Aufgaben die Verwaltung des Düngerlagers und des Handwerkerschuppens übertragen.
Die verhältnismäßige kleine Baumschule ließ noch genügend Zeit, bei Baumpflanzungen mitzuhelfen, und so gings dann kolonnenweise zu je zwei Mann an die Arbeit. Allzu große Umständlichkeit konnte dabei nicht Platz greifen, in den wenigen Wochen der Pflanzzeit mußten Tausende von Bäumen, mehrere Tausend Beerensträucher und Wildlinge fachtechnisch richtig und doch auch so gepflanzt werden, daß das Anwachsen gewährleistet war. Aus Mangel an Betriebsmitteln, durch knappes, meist ungeschultes Personal, Genossen, die vorsichtigen Anfassen erforderten, und in dem unvorbereiteten Boden war das Arbeiten sehr erschwert. Mittels eines Handwagens mußten auf teilweise grundlosen Wegen, durch Wasser und Morast Baumpfähle, Pflanzmaterial und Düngemittel in die entferntesten Teile der Siedlung befördert werden, bei Regen und Sturm, so daß mancher Idealist die Flinte bald ins Korn warf. Hier hätte ein gewöhnlicher Einspänner die knappe Menschenkraft entlasten können.
Unser damaliger Fuhrunternehmer, der alte Seeger aus Oranienburg, konnte in der wechselvollen Frühlingszeit die Zufuhr von Dünger, besonders dem Berliner Straßenkehricht, nach dem unteren Teil Edens nicht unternehmen; das Durchkommen war mitunter unmöglich, vor Umwegen sträubte sich der alte Mecklenburger mit der Erwiderung: „Da muß ich ja ‘ne Meile zu sieben Viertel moken.“ – Zwischendurch galt es für das genannte Mietfuhrwerk Bauschutt zum Wegebau anzufahren, da war es nun mitunter so: bis hierher und nicht weiter kam unser Wagen mit Schutt, da mußte eben abgeladen werden, wo der Wagen stand. Wieviele Wagen alter Steine mußten besonders auf dem Zufahrtswege von der Chaussee, dem Mittelweg oder der Hauptallee, angefahren werden, immer wieder versackte das Material in dem weichen Moorgrund.
- Der Verfasser (EM Nr. 2, 1933, S. 25)
Die Sortenfrage wurde nach den damaligen knappen Erfahrungen in den Wochenversammlungen und Beratungen unserer Fachgemeinschaft unter dem Vorsitz des Genossen Scheffler gelöst. Es konnte daher mancher Mißgriff nicht ausbleiben – war aber damals unvermeidlich, auch ein erstklassiger Obstbaufachmann hätte kaum Sorten für alle Verhältnisse gefunden. Gegen besseres Wissen mußte manche dringende Maßnahme unterbleiben und schließlich – hier sei mir eine kleine Abschweifung gestattet – waren die damaligen obstbaulichen Erfahrungen in Deutschland gering, die Vorschläge, Anlagen und Sorten-Empfehlungen der damals und auch noch später führenden Obstbaufachleute haben wohl neben vielem Guten manches Unrichtige gebracht. Daraus kann natürlich kein Vorwurf erhoben werden. Es sind eben all die vielen Erfahrungen als Bausteine für den allgemeinen Obstbau nötig gewesen, um ihn dahin zu bringen, wo er heute steht. Auch in den letzten Jahren, und heute noch, wird der Obstbau weiter vervollkommnet, spezialisiert, vereinheitlicht, und trotzdem: ohne Fehlgriffe geht es nicht, und Umveredlungen sind unausbleiblich. Damals galt noch die Gemischtpflanzung nach Werderscher Art, die freilich heute auch in Werder selbst überholt ist.
Im Frühjahr mußten die Pflanzungen und der freie Boden zum Schutz gegen heiße und trockene Winde mit Lupinenstroh eingedeckt werden, damit die Wurzeln nicht freigelegt und die Aussaaten nicht in die Luft entführt wurden. Der Edener Boden war kein Boden im heutigen Sinne. Sterilster Sand wechselte mit schwarzem Humus, teilweise aber vollständig verwilderten Flächen bei höchstem Grundwasserstand. Eine Vorkultur für einige Jahre oder Umbrechen mit dem Dampfpflug würden bessere Vorbedingungen geschaffen haben. Durch die fertige Parzellierung und Bepflanzung war gewaltige Handarbeit nötig, ohne mit Gespann und Hackpflug eingreifen zu können.
Die Entwicklung der Kulturen ging dadurch langsam voran, ebenso langsam kam der so dringend nötige Betriebsüberschuss. Welche Freude, wenn etwas Gemüse glatt verkauft werden konnte. Die Lieferung in die Berliner Markthallen mußte mit dem „Zweiräder“ bis zum Bahnhof Oranienburg erfolgen. Unsere Edener Erdbeeren wurden anfangs mittels Trage bis Oranienburg transportiert, um ja die Ware unbeschädigt nach Berlin zu bringen. Trotzdem war nur ein kärglicher Erlös beim Verkauf der Lohn für unsere Mühe.
Die in den oben angegebenen Jahren tätig gewesenen Fachleute: Reichenbach und Ziesche, haben, unterstützt durch die im Betriebe tätigen Genossen (Merschank +, Hanker, Witte +, Lovis, Haupt, Gutsche, Schwandt +, Willkommen) und einige andere, sich bemüht, durch persönliche Beziehungen, Fleiß und Schaffensfreudigkeit über mancherlei Schwierigkeiten hinweg zu kommen und Lust und Liebe zur Siedlung zu fördern. Das sei an dieser Stelle den heutigen Eden=Kolonisten dankbar bekannt gegeben.
Mitunter ging es beim Zuzug Neuangekommener wie im Taubenschlag zu – die alten Praktiker durften nicht ins Hintertreffen kommen, auch war es nötig, das Menschenmaterial, wenn unbemittelt, wenigstens nach der körperlichen Eignung zur Siedlung zu sichten, dabei wurde nach besonderen Grundsätzen verfahren. Das früher so nötige Rigolen war der Maßstab. Hielt es ein Neuer eine gewisse Zeit aus, die wohl einfache, aber eintönige Arbeit nach vorheriger Unterweisung richtig und das nötige Maß zu leisten, dann wurde er als Betriebsarbeiter (wenn sonst die Möglichkeit bestand) aufgenommen. So mancher hat es aber vorgezogen, den Edener Staub von den Füßen zu schütteln und in die „Welt“ zurückzukehren.
Es galt besonders in siedlungstechnischer Hinsicht, mancherlei Unterweisungen für den in den ersten Jahren stark betriebenen Erdbeeranbau und Beerenobst überhaupt, von den ersten Grundanfängen an, zu geben. Die immerhin komplizierte Erdbeerernte mußte so erfaßt werden, daß der Absatz glatt und ohne Reklamationen vonstatten ging; da gabs manche schwierige Auseinandersetzung mit unbelehrbaren Genossen, die kraft ihrer genossenschaftlichen Mitgliedschaft für Belehrungen schwer zugänglich waren. Bei dem Erdbeer=Anbau plagten wir uns mit den für den Versand ungeeigneten, aber in großen Beständen vorhandenen Sorten „Deutsche Kronprinzessin“ und Lucida Perfecta“ herum, die natürlich nur Mißerfolge zeitigen konnten. Allmählich wurden dann „Laxtons Noble“, „Sieger“ und “Kaisers Sämling“ eingeführt.
Die gärtnerische Facharbeit war durch den späteren gärtnerischen Betriebsleiter Garteninspektor Hempel und die damit verbundenen Zuschüsse und die vorangegangenen Anfangsjahre wesentlich erleichtert worden. Ebenso muß aber betont und hervorgehoben werden, daß im gegebenen Rahmen der Jahre 1897 – 1899 die gärtnerische Fach- und Siedlungsarbeit so geleistet wurde, um als Grundstein am Aufbau des Ganzen dankbar und mit Anerkennung gewertet zu werden.
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